Ursula Molitor und Vladimir Kuzmin sind seit Ende der 1990er Jahre für ihre Licht- und Raumarbeiten bekannt. Sie formen Objekte und Volumen durch den Einsatz von Licht. Sie knüpfen an die Prinzipien der „Light-and-Space“- Künstler_innen der 1960er Jahre an und führen sie fort. „Wir arbeiten mit Massenmaterialien, und für uns sind Leuchtstofflampen wie ein Werkzeug zum Komponieren, nicht auf einer begrenzten Leinwand, sondern im offenen Raum“. Seit 1996 ist physikalisches Licht das Hauptmaterial ihrer künstlerischen Artikulation. „Als wir anfingen mit elektrischem Licht zu experimentieren, hat uns die Technik im Grunde nicht interessiert. Wichtig war für uns das ästhetische Phänomen. Wir waren begeistert, dass wir ein Material gefunden haben, das den Dialog mit der räumlichen Dimension sucht.“

molitor & kuzmin benutzen handelsübliche Leuchtstoffröhren als eine Art Zeichenmaterial. In den künstlerischen Kompositionen können sie als einzelne Objekte oder gehäuft auftreten; sie können einer geometrischen Ordnung verpflichtet sein oder einem mechanischen System wie in einer Explosionszeichnung angeordnet sein; sie können frei im Raum hängen oder von Transportmaterialien wie Paletten, Lastwagen oder Kisten eingerahmt werden. „Fluoreszenzlicht ist ein so restriktives Medium und über die unendlich vielen Stunden, die wir damit arbeiten, haben wir eine besondere Wertschätzung entwickelt, die uns immer wieder motiviert, weiter zu machen. Diese Röhren haben ihre eigene Poetik. Das Gas im Inneren wird in einen Hochvakuumzustand versetzt, um ein Entladungsphänomen ähnlich dem Ursprung des Universums hervorzurufen. Vielleicht spüren wir das, wenn wir sie anschauen…“.

Die leuchtenden Werke von molitor & kuzmin sind von hoher visueller Attraktivität und reorganisieren den Ort. Sie übernehmen die visuelle Führung in einem Raum, zum einen aufgrund der natürlichen Augenreaktion, die uns zum hellsten Teil einer Umgebung navigieren lässt, aber auch durch ihre ästhetische Impulskraft. „Bis heute fasziniert uns immer noch das reine, helle, weiße Licht der Leuchtstoffröhren. Es verändert einen Raum und alles darin.“

In den ersten zehn Jahren bis 2007 waren die Leuchtstofflampen im Dauerbetrieb eingeschaltet, mit „black cross negative“ [2007] oder „endless“ [2013 /2017] entstanden in den letzten zehn Jahren auch Arbeiten, die die Lichtausbeute varieren. Innovationen in der Leuchtstofflampentechnik und in der Steuerungstechnik machen es möglich, einzelne Lampen wie Pixel zu kontrollieren und alle Zustände digital zu steuern. „Das hat im Grunde unser Material vervielfacht. Heute arbeiten wir nicht nur mit gleissendem Weiss, sondern mit allen Schattierungen von Weiss bis Grau bis Aus. Die Möglichkeit diese Dynamik miteinzubeziehen hat unseren eigenen Blick auf unsere Arbeiten verändert.“

molitor & kuzmin verändern oder manipulieren weder Form, noch Farbe, noch verstecken sie die elektrischen Kabel. Alles, was benutzt wird, wird auch gezeigt. Die technische Transparenz ist Teil des ästhetischen Ansatzes, der nicht darauf abzielt, etwas anderes als sich selbst darzustellen. „Wir sind sehr konkret in unserer Arbeitsweise“.

Sie thematisieren die Verflechtung des architektonischen Raumes mit Licht und Wahrnehmung und behandeln sie als sich gegenseitig beeinflussende. Der Raum ist nie leer, er ist immer „informiert“, er hat eine Geschichte, er ist Träger von Spuren und Anlass zu Assoziationen. Sein Gehalt ändert sich im Laufe der Zeit und mit dem Wechsel von anwesenden Personen. „In unserer Recherche decken wir einen Teil dieser Informationen auf und wir re-codieren sie, indem wir in die lichte Dimension eingreifen. Wenn es richtig ist, sieht es so aus, als ob es dazugehört, als ob es immer da gewesen wäre und als ob es nie wieder entfernt werden sollte.“

Wenn ein Ort zum künstlerischen Material wird und gleichzeitig zum Ziel wird, dann nennt es der US-amerikanische Künstler Robert Irwin „Conditional Art“. Die „bedingte Kunst“, so Irwin, reagiert auf ihre Umgebung, und ihr Ziel ist es, die Wahrnehmung eines Raumes durch die Betrachtenden zu vertiefen. Irwin betrachtet seine Lichtinterventionen als Werkzeuge, mit denen er „die Qualität eines bestimmten Raumes in Bezug auf sein Gewicht, seine Temperatur, seine Taktilität, seine Dichte, seine Haptik“ untersucht. Irwin ist Teil der künstlerischen Light-and-Space-Bewegung, die in den 1960er Jahren begann. Unter Bezugnahme auf natürliches und künstliches Licht schufen Künstler_innen immersive Umgebungen und experimentierten mit Augenreaktionen, visueller Wahrnehmung und optischen Täuschungen. Sie komponierten im Wechselspiel von Licht, Zeit und Raum und erforschten die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung.

molitor & kuzmin sind die nächste Generation von Künstler_innen, die die künstlerische Forschung des Light-and-Space-Movement fortführen. „Wenn wir die Eigenschaften und Qualitäten eines Raumes, seine Nutzung, seine Materialien und die Prozesse seiner Entwicklung und die getroffenen Entscheidungen wirklich betrachten, werden sie zu einem Teil unseres künstlerischen Komposits. Für diese Art der künstlerischen Forschung fängt man bei Null an, wenn man weiß, dass man es nicht weiß. …. unser Entwicklungsprozess vor Ort ist ein ständiger Abgleich zwischen unseren Ideen und deren Erscheinungsbild. Und für jedes unserer Werke entwickeln wir eigene Richtlinien. Wenn wir an einem neuen Ort ankommen, verbringen wir einfach viel Zeit… beobachten, fühlen, assoziieren… Wir öffnen unsere Radare und wir sehen, fühlen und berühren. Es ist wichtig, nicht zu hetzen und unsere Augen, unser Wissen und unsere Erfahrung zu nutzen, um es zu erforschen und zu verstehen. Am Anfang wissen wir nicht, wonach wir suchen, und wir sollten warten, bis wir alles, was wir bisher gesehen haben, überwinden können. Von da an fangen wir an zu teilen und zu diskutieren, bis sich unsere Ideen synchronisieren.“

In der Balance von kreativer Freudigkeit und kritischem Urteilsvermögen entwickeln sie ihre gemeinsamen Werke. „Wir schätzen es, zu zweit zu sein, und in den fragilen Momenten der künstlerischen Entwicklung spüren wir, wie sehr wir einander vertrauen. Durch unsere gemeinsamen Projekte haben wir festgestellt, dass wir eine gute Ergänzung zueinander sind…“. 1991, im selben Jahr, als die Sowjetunion zusammenbrach und Europa nicht mehr durch den Eisernen Vorhang geteilt wurde, wurden Ost-West-Kooperationen einfacher und die in Deutschland geborene Ursula Molitor und der in der russischen Ukraine geborene Vladimir Kuzmin begannen, zusammenzuarbeiten. Beide waren damals Künstler_innen mit Schwerpunkt Malerei. Vladimir wuchs in Zaporozhe in der Ukraine auf und studierte Architektur in Moskau. Nach seinem Studium, ab 1983, stellte er nicht nur in Moskau, sondern auch in Europa und den USA aus. Etwa zur gleichen Zeit begann Ursula auszustellen, vor allem in Deutschland. Ihr künstlerisches Portfolio umfasste Zeichnungen, Gemälde und Objekte. In den ersten Jahren der gemeinsamen Arbeit arbeiteten sie an abstrakten Farbkompositionen in der Malerei. „Irgendwann, um 1995/1996, waren wir mit den Farben auf der Leinwand nicht mehr zufrieden. Wir wollten den umgebenden Raum mit einbeziehen und waren begeistert, mit physischem Licht als offenem Volumen zu arbeiten. Und das ist auch heute noch so.“

[Interview am 10. September 2017. Überarbeitung vom 5. März 2018. Alle Zitate von molitor & kuzmin. Text: Bettina Pelz]